Die allererste Phase des Referendariats ist vorbei und es ist Zeit ein Fazit zu ziehen: Ich habe die Anforderungen unterschätzt. Vor allem die Anforderungen an das Strukturwissen im materiellen Recht. Die Selbstverständlichkeit mit der Kenntnisse in allen Rechtsgebieten (ja, auch die Nebengebiete!) vorausgesetzt werden, hat mich kalt erwischt. Mein Fall mag speziell sein, weil über fünf Jahre zwischen dem ersten Examen und dem Referendariat liegen, aber allein bin ich damit sicher nicht. Jetzt heißt es durchatmen und weiter machen. Einen Schritt nach dem anderen und nicht die Geduld verlieren.
Das hier sind meine Erkenntnisse der letzten Wochen:
1. Gesetze und Kommentare sind deine Freunde
Das gilt für Gesetze bereits im ersten Examen, im zweiten aber noch mehr. Entscheidend ist nicht so sehr, wie viel konkret auswendig gelernt werden kann, sondern das Strukturwissen, die Arbeit am Gesetz und im zweiten Examen auch die Arbeit mit den Kommentaren. Ich habe deshalb von Anfang an in den Arbeitsgemeinschaften Gesetz und Kommentar aufgeschlagen und mitverfolgt. Ich kann euch sagen, dass hilft wirklich. Sogar konkrete Formulierungen für die Kostenentscheidungen sind bei Thomas/Putzo zu finden (§ 709 ZPO Rn. 3ff; § 711 ZPO Rn. 3b, 40. Auflage 2019)
2. Strukturwissen wird vorausgesetzt
In der Einleitung ist es schon deutlich geworden: Strukturwissen wird vorausgesetzt. Und damit meine ich nicht unbedingt die Kenntnis von Einzelproblemen, sondern das Wissen darum, wie alle Teilgebiete des Zivilrechts miteinander wirken und durcheinander beeinflusst werden. Vor meinem ersten Examen hatte ich ein starkes Bild von Normverknüpfungen vor meinem inneren Auge, das fehlt mir jetzt und das brauche ich wieder.
3. Es gibt mehr zu tun, als zu schaffen ist
Ich weiß, wie viel wirklich konzentrierte, mentale Arbeit ich schaffen kann, ohne dass ich am Ende des Tages so erschöpft bin, dass alles andere schwierig wird (5 bis max. 6 Stunden täglich). Und ich weiß, dass nur das auch langfristig aufrechtzuerhalten ist. Nicht dazu zählen: Ergänzungslieferungen nachsortieren, Lernpläne erstellen, Organisatorisches, Gedanken über die nachfolgenden Stationen etc.. Von surfen, twitter oder instagram will ich gar nicht anfangen. Auf den Bildern seht ihr, wie ich die letzte Woche geplant hatte und wie sie tatsächlich gelaufen ist. Mein „Soll“ von fünf Stunden konzentrierter Arbeit täglich habe ich erfüllt, was nicht heißt, dass ich alles geschafft habe, was ich mir vorgenommen hatte. Was ich aus dieser Erkenntnis in den nächsten Monaten machen soll, weiß ich noch nicht.
4. Online-AG funktioniert, ist aber anstrengend
Unsere Arbeitsgemeinschaften haben, mit Ausnahme des allerersten Termins, online stattgefunden. Inklusive Leitungszusammenbrüchen, Programmabstürzen, gleichzeitig sprechenden Menschen, vergessenen Stummschaltungen und allem was dazu gehört. Sicher, es wäre schöner gewesen vor Ort zu lernen, aber das lässt die pandemische Lage in diesem Winter nicht zu. Und ich hatte Glück: Es sind nur 14 Menschen in meiner AG, was dem Ganzen einen Seminarcharakter verleiht und unser AG-Leiter hat sich wirklich ins Zeug gelegt. So schnell wird er seine erste Arbeitsgemeinschaft in der Zivilstation wohl nicht vergessen. Trotz allem war ich nach den drei Stunden Veranstaltung wirklich geschafft. Briefmarken-große, womöglich verzerrte, Bilder mit versetzten Tonspuren können den persönlichen Austausch nicht ersetzen und schaffen auch nicht wirklich die Atmosphäre, die bei Veranstaltungen vor Ort entstanden wäre. Ich hoffe dennoch, dass jedenfalls im März/April Arbeitsgemeinschaften vor Ort stattfinden werden.
Insgesamt will ich mich aber wirklich nicht beschweren. Immerhin werde ich dafür bezahlt, dass ich neue Dinge lerne und in die Lage versetzt, konkrete Probleme von Menschen zu lösen, die sich an die Justiz gewandt haben. Das ist ein Privileg und dessen bin ich mir auch sehr bewusst.
Wie ist es euch im Online Semester/Online Referendariat ergangen?