Unbeaufsichtigte Probefahrten wird es nach dem Urteil des Bundesgerichtshof vom 18. September 2020 – V ZR 8/19 wohl nicht mehr geben: das Risiko das Eigentum an einem Fahrzeug zu verlieren, ohne eine Kaufpreis zu erhalten, ist für den Verkäufer zu groß. Aber nicht nur für Händler ist dieses Urteil interessant, auch Studierende könnten sich mit diesem Beispiel die Grundlagen des Eigentumserwerbs vergegenwärtigen.
Sachverhalt
Die Camping-Van Händlerin (H) hatte einer angeblichen Kaufinteressentin (D) einen Camping-Van zu einer unbegleiteten Probefahrt überlassen. Die D kam jedoch nach dem Ablauf der vereinbarten 60 min nicht zurück, sondern verkaufte den Van unter Vorlage gefälschter Fahrzeugpapiere der F. Als die Masche der D aufflog, verlangte H Van und Schlüssel von F zurück. F dagegen verweigerte die Herausgabe, da sie Eigentümerin sei und verlangte stattdessen die originalen Fahrzeugpapiere von H.
Wo liegt das Problem?
Dieser Fall ist ein Lehrstück für den gutgläubigen Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten, §§ 929, 932 BGB. Um auf den eigentlichen Kern des Falles zu sprechen zu kommen, mache ich hier zunächst drei Annahmen
- H war ursprünglich Eigentümer des Vans
- Die D war zu keinem Zeitpunkt Eigentümerin des Vans und deshalb auch nicht zur Übereignung berechtigt.
- Die F war gutgläubig (so auch BGH V ZR 8/19 Rn. 29)
Der Kern des Problems liegt in diesem Fall im Verhältnis von H und D. Genauer bei der Frage, ob die unbegleitete Probefahrt eine freiwillige Besitzaufgabe darstellte (dann wäre F Eigentümerin geworden) oder nicht (dann wäre der Eigentumserwerb der F aufgrund § 935 BGB ausgeschlossen). Der Bundesgerichtshof diskutiert in seinem Urteil zwei Besitzkonstruktionen, die für die rechtliche Einordnung des Sachverhaltes zwischen D uns H in Frage kommen:
Diese beiden Besitzkonstruktionen haben jeweils ihre eigene Berechtigung und unterscheiden sich maßgeblich durch das ihnen jeweils zugrundeliegende Verhältnis der Beteiligten. So ist das Besitzdienerverhältnis geprägt von einem sozialen Abhängigkeitsverhältnis des Besitzdieners vom Besitzer, während Besitzmittler und unmittelbarer Besitzer in der Konstruktion des mittelbaren Besitzes sich grundsätzlich auf Augenhöhe begegnen. Deshalb ist in einem Besitzmittlungsverhältnis die Übertragung des unmittelbaren Besitzes einer Sache vom Eigentümer zum unmittelbaren Besitzer freiwillig, und der Verlust der Kontrolle über die Sache, die sich in den Händen des Besitzdieners befindet, ein unfreiwilliger Verlust des unmittelbaren Besitzes. Die Einordnung des Verhältnisses von H und D beantwortet im Ergebnis die Frage des Eigentums am Van.
Der Bundesgerichtshof verneinte nun in seinem Urteil die bisher umstrittene Frage, ob es sich bei dem Kaufinteressenten während einer Probefahrt um einen Besitzdiener handelt, eindeutig. Hauptargument war, dass von einem, das Besitzdienerverhältnis prägenden, sozialen Abhängigkeitsverhältnis, das über einen konkreten Sachbezug hinausgeht, bei einer unbegleiteten Probefahrt nicht die Rede sein kann (Urteil Rn. 21 ff.). Stattdessen ist von einem gesetzlichen Schuldverhältnis aufgrund einer Vertragsanbahnung auszugehen, das gerade auf die potentielle Kaufsache bezogen ist (Urteil Rn. 26). Das Verhältnis zwischen Verkäufer und Probefahrenden ist also ein Besitzmittlungsverhältnis.
Für uns folgt daraus, dass die Besitzaufgabe der H gegenüber der D freiwillig war und die F deshalb aufgrund §§ 929, 932 BGB Eigentümerin des Vans geworden ist. Das Risiko das Eigentum an einem Fahrzeug zu verlieren, ohne einen Kaufpreis zu erhalten, liegt beim ursprünglichen Eigentümer, wenn dieser eine unbegleitete Probefahrt zulässt. Für diesen Fall heißt das: F erhält die Fahrzeugpapiere; H erhält nichts.
Weiterführende Links
- Wie das ganze in einer Prüfung aussehen muss sehr ihr hier
- Urteil und Pressemitteilung des BGH
- Einordnung der Examensrelevanz durch Prof. Dr. Roland Schimmel